Höchst
      amüsante Persiflage eines Kultfilms    
       
      Das
      Play-Back-Spiel feierte im "theater ensemble" der Domstadt Würzburg
      seine Premiere 
      Casablanca
      ist Kult, Casablanca ist Kitsch, Casablanca ist eine Orgie der
      Sentimentalität mit Muss-Status für Cineasten - weshalb nicht einmal
      Casablanca parodistisch? Das "theater ensemble" Würzburg
      startete unter der Regie von Andreas Büettner in Form eines
      Play-back-Theaters eben diesen Versuch, der zum Amüsement des
      Premierenpublikums vollauf gelang. Eine schwarze Bühne, fünf Stühle.
      Sonst nichts. Aus dem Off die sonore Filmstimme des Erzählers. Man
      befindet sich inmitten eines der Knoten der von den Flüchtlingen des
      Zweiten Weltkriegs gebahnten Verkehrswege: Casablanca, Kulminationspunkt
      der Hoffnung all derer, für die das Ausreisevisum nach Lissabon nicht nur
      den Weg ins Friedensland der unbegrenzten Möglichkeiten eröffnet,
      sondern direkt über Tod oder Leben entscheidet.
      Pantomimische
      Geh-, Schwimm- und Zugratterbewegungen deuten die Flucht der Exilierten in
      die verheißene Stadt auf noch unbesetztem französischem Boden an.
      Armschwenkendes Marschieren im vierfachen Gleichschritt steht symbolisch für
      die Truppenbewegungen. Knatternde Flugzeugmotorengeräusche in der Ferne
      am Himmel - vier Augenpaare wenden sich gen Theaterdecke, offenbaren
      Sehnsucht. Endlich gelangt man ins Herz der Geschichte, deren Mittelpunkt
      das legendäre Paar Humphrey Bogart alias Rick alias Richard Blaine und
      Ingrid Bergman alias Ilsa Lund bildet. 
      Ein
      romantisches Paar. Ein tragisches Paar. Ein Paar wie aus einem Märchen.
      Und gerade so klischiert. Rick ist das Sinnbild des prinzipientreuen, vor
      männlichem Selbstbewusstsein strotzenden Überkerls, der nicht diskutiert
      über Für und Wider, der einfach tut, und zwar das, was ihm nützt
      ("Ich halte für niemanden den Kopf hin!"). Was er wirklich ist,
      verbirgt sich hinter einem schützenden Panzer aus schlagfertigem
      Zynismus. Sein Widerpart Ilsa ist das Abbild einer Frau, die in männlichen
      Schatten gedeiht. 
      Man
      hat es nicht mit Persönlichkeiten zu tun, sondern mit grob konturierten
      Figuren. Wie "daneben" die Figurenzeichnungen sind, wird
      nirgends besser als in der Persiflage entlarvt. Er, der im Vollzug der
      Handlung immer menschlicher und herzensgütiger werdende Held, sie, das
      immer verwirrtere Weibchen mit immer weherem Herzen, das ihn für sich
      denken lässt. Den Architekten der Story kam es nicht auf psychologische
      Glaubwürdigkeit an, weshalb die Geschichte, wenn auch dramaturgisch
      durchdacht, in diesem Zeitalter der Emanzipation phasenweise reichlich lächerlich
      anmutet. Die parodistische Imitation unterstreicht die Absurdität der
      Handlung in dem Maße, als die Eliminierung der Zelluloidbilder die ans
      unerträgliche grenzende Rührseligkeit der violinenschwangeren
      Hintergrundmusik unterstreicht. Der Plot lässt sich im Fortgang der
      Handlung immer weniger ernst nehmen, und genau das ist die Absicht des
      Ensembles. Ein Kultdenkmal stürzt ein, doch man bedauert nichts, im
      Gegenteil, es ist ein köstlicher Spaß mit allem, was eben dies Kultige
      ausmacht - "ich seh dir in die Augen, Kleines" 
      Esme
      Koslitz mit übergestülpter Rauschgoldengelperücke zieht alle Register
      jener Mythologie des Weiblichen, die der Figur der Ilsa von den männlichen
      CasablancaDrehbuchautoren zu Grunde gelegt wurde. Eine Frau ist etwas
      Pflanzenhaftes, das auf Grund ihrer fließenden Weichheit beanspruchen
      darf, verehrt zu werden. Eine Frau ist etwas, das Mann besitzen kann. Die
      Frau ist des Mannes Gradmesser: Je schöner sie, um so bedeutender muss er
      sein. Eine Frau liegt dem Mann ergeben zu Füßen oder hängt ihm ängstlich
      am Hals. Wo er sich Sarkasmus erlauben darf, schwingt in ihrer Stimme
      meist ein heimliches Schluchzen mit. Und will er sie küssen, lässt sie
      ihren elastischen Körper weit nach hinten biegen. 
      Großartig
      Marco Peter, der in sich die Kontrahenten Viktor Laszlo und Major Strasser
      verkörpert. Die Wechsel von Figuren und Mützen sind fliegend und werden
      von Koslitz in hervorragendem Zusammenspiel mit Peter mühelos
      nachvollzogen - mal hängt sie dem Untergrundkämpfer Laszlo am Arm, mal
      starrt sie Strasser an. 
      Michael
      Völkls Rick, die ewig glühende Kippe im schiefen Mund, ist getreu der
      filmischen Vorlage wunderbar herablassend und blasiert, cool und
      machohaft. Aber innerlich, wie man sieht, von der Erfahrung verlorener
      Liebe vergiftet. Eine Drehung des Körpers, und man befindet sich im Reich
      bittersüßer Erinnerungen. Wie war das damals, als die Deutschen kurz vor
      Paris standen - und er weg wollte mit Ilsa und die nicht zum Bahnhof kam.
      Dieser abrupte Wandel der Gesinnung. Als hätte sie nicht erst vor wenigen
      Stunden Liebe auf ewig geschworen. Des Rätsels Lösung wird für die
      Schlussszenen aufgehoben. Sie kommt ebenfalls als Märchen daher - der tot
      geglaubte Gatte, erfuhr Ilsa, ist entgegen anders lautender Behauptungen
      am Leben. 
      Wolfgang
      Stenglins Pokerface schließlich ist für Posse und Parodie geradezu prädestiniert,
      souverän verhilft er Captain Louis Renault zu distinguiertem Bühnenleben.
      Sam, das leitmotivisch Beständige, der Ruhepol in der Handlung wird meist
      von allen vieren gleichzeitig gespielt; einmal auch von Stenglin alleine,
      was unübertroffen bleibt. Wie alles andere ist auch Sams Klavierspiel
      Pantomime und Playback. Fast parallel zum Film. Denn da singt Dooley
      Wilson als Sam zwar tatsächlich einige Songs wie "As time goes by",
      das Klavierspiel jedoch stammt von Studiomusiker Elliot Carpenter. Auch
      Wilson tat also nur so, als ob er spielte.  
            Pat Christ
     
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