Jenseits des Runzligen
Yasmina Rezas "Kunst" im Theater Ensemble
Serge ist Dermatologe und liebt die Kunst. Deshalb hat er sich das Bild
gekauft, mit dem er schon seit Monaten geliebäugelt hat: einen
"echten Antrios", ein weißes Bild mit weißen Streifen oder,
besser gesagt, mit einem ganzen Kosmos an Ausdruckskraft und innewohnendem
Farbspektrum! So man das denn sehen könnte oder wollte. Doch Freund Marc,
unbeeindruckt von Wert oder "Vibration" des Bildes, empört nur
eines: "Du hast 50 000 Euro für diese weiße Scheiße
bezahlt!?" Das sitzt, die Gräben sind tief, und auch Ivan, der
Dritte im Bunde der 20-jährigen Männerfreundschaft, vermag nicht mehr zu
vermitteln, so gerne er auch wollte.
Die moderne Malerei kommt in der Komödie "Kunst" von Yasmina
Reza nicht so gut weg, was aber unbedeutend ist. Ein monochromes Bild wird
zum "corpus delicti", an dem sich Weltsicht und
Wertvorstellungen auf eine besonders krasse Art reiben und eine
lebenslange Freundschaft erproben. Vermischt mit den heutigen Problemen
aus Partnerschaft und Beruf, erhofften Lebensperspektiven und
gesellschaftlicher Akzeptanz gelang der Autorin ein Welterfolg, der jetzt
unter der Regie von Angelika Hofstetter auch Einzug ins Würzburger
Theater Ensemble (Frankfurter Straße 87) gefunden hat. Und weil es in dem
Stück ums Grundsätzliche geht, das immer schon einmal gesagt werden
musste, wird bitter, eifrig und eifersüchtig um den eigenen Standpunkt
gerungen, bis aufs Blut gereizt, gestritten, ja sogar gekämpft.
Sollte man sich als Zuschauer das antun? Unbedingt.
Was Hofstetter, ansonsten Schauspielerin am Mainfranken Theater, in
ihrer ersten Regiearbeit vorlegt, ist sehenswert. Ihr sicheres
Fingerspitzengefühl für psychologische Momente trifft auf Darsteller,
die ihr die feine, köstliche Inszenierung rund um die drei
Prinzipienreiter ohne Einbrüche ermöglichen. Wolfgang Stenglin mimt
Serge, den beleidigten Möchtegern-Ästheten, der Empfindsamkeit mit
Empfindlichkeit verwechselt und sich in Rhetorik gefällt. Bewundernswert
genau vermittelt Stenglin männlichen Reiz-Reaktions-Mechanismus auf der
Basis von Trotz und Rachsucht. So attackiert er Marc indirekt über dessen
Freundin: Sie sei "jenseits des Runzligen".
Andreas Büettner hat eine differenzierte und geschulte Ausdrucksfähigkeit
für Marc, der austeilt, aber nicht einstecken kann und letztlich unter
der ruppigen Schale seine bis zum Schluss verborgene Angst vor Verlust und
Veränderung versteckt.
Auch Joachim Fildhaut überzeugt als Ivan, der "Clown", in
Mimik und Gestik in dem nicht einfachen Part eines Wirrkopfs, der bedrängt
von den "Dingen an sich", larmoyant, aber stets verbindlich
gestimmt, überfordert damit ist, einmal "eine eigene Meinung zu
haben". Begeisterter Applaus.
Angelika Summa
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