Wenn nichts bleibt als eine Stimme
Intim ist das KuZu-Kellertheater im
Chambinsky. Gerade groß genug, um die stockende Stille und den leisen
Atem des Publikums zu hören, als Paulina das Schweigen über ihre
tragische Vergangenheit bricht. Paulina Salas ist die Protagonistin des
Stückes „Der Tod und das Mädchen“. 15 Jahre nach ihrer Entführung sieht
sie sich mit ihrem Peiniger eines totalitären Regimes konfrontiert. Das
fiktive südamerikanische Land, in dem sie lebt, ist seit der
demokratischen Revolution vor einigen Jahren von den Tyrannen des
Regimes befreit. Anders Paulina. Sie kämpft mit den Geistern ihrer
Vergangenheit. An dem Tag als ihr Mann, Gerado Escobar, den Arzt Doktor
Roberto Miranda mit nach Hause bringt, meint sie in ihm ihren Peiniger
gefunden zu haben. Einziges Indiz: die Stimme Mirandas. Für Paulina
Beweis genug, um ihm auf eigene Faust den Prozess zu machen. Gerado
schwankt. Paulina und Gerado beginnen ein Ringen um Gerechtigkeit und
Recht.
Die Inszenierung steuert dem Höhepunkt
entgegen. Die Dialoge überschlagen sich; werden dann unterbrochen von
verzweifelter Stille. Paulina und Gerado drehen sich mit ihren
Argumenten im Kreis. Ihre Wege zu Gerechtigkeit und Recht sind
verschieden. Wie kann man Unrecht mit Unrecht sühnen? Und als Zuschauer
kommt man nicht umhin, sich diese Frage ebenfalls zu stellen. Was wäre,
wäre ich Paulina? Ein immer gleiches Meeresrauschen bringt einen stets
von den eigenen Gedanken zurück zur Inszenierung auf der Bühne.
Erfolgreich uraufgeführt wurde das
Stück 1991 im Royal Court Theatre in London. Dann preisgekrönt und in 25
Sprachen übersetzt. Ulli Stephan und Uwe Carstensen übertrugen das Stück
ein Jahr später in die deutsche Sprache. Unter dem Regisseur Roman
Polański erschien 1994 der Film „Der Tod und das Mädchen“ in den Kinos.
Zentrales Motiv blieb das gleichnamige Streichquartett Nr. 14 d-Moll von
Franz Schubert.
Auch im Würzburger Theater Chambinsky
begleitet den Zuschauer Schuberts Streichquartett als Tonbandaufnahme.
Der Recorder bildet den roten Faden durch die Inszenierung – denn auf
Tonband aufgenommen werden soll auch Mirandas Geständnis. Mit wenig
Tam-Tam schaffen die Bühnenbildner Volker Harzdorf und Henry Schwarzott
für die Szenen einen nüchternen Raum. Er gibt dem Zuschauer wenig
Aufschluss darüber, wo genau das Stück spielt – und so strebt es Ariel
Dorfmann an. Unbestritten verarbeitet der chilenische Autor von „Die
Maske“ und „Konfidenz“ in diesem Stück seine Erfahrungen mit der
chilenischen Militärdiktatur. Dennoch ist der Raum seines Stückes
fiktiv. So auch hier. Auf diese Weise bleibt Regisseur Manfred Plagens
mit seiner Regie-Assistentin Michelle Neise die Möglichkeit, alle
Aufmerksamkeit den Charakteren zu widmen. Mit ihrem intensiven Spiel
verleihen Dorothy Albert als Paulina Salas, Wolfgang Stenglin als Doktor
Miranda und Joachim Vogt als Gerado Escobar ihren Charakteren
Persönlichkeit. In herausragenden Monologen lassen sie ihre Stimmen zum
Publikum sprechen, zeigen ihre innersten verzweifelten Sehnsüchte und
lassen uns an einem brisanten Beziehungsgeflecht teilhaben.
Die Größe des Raumes fordert an
einigen Stellen jedoch ihren Tribut. Manche Szenen bleiben dem Zuschauer
deshalb verborgen. Einzig die Stimmen der Schauspieler sind zu hören.
Die eigene Fantasie ist dann gefragt. Vielseitig interpretierbar ist
auch der Schluss. Die Zuschauer stachelte es umso mehr zu begeisterten
Diskussionen an. Am Ende wurden Darsteller und Regie dafür mit einem
enthusiastischen Applaus belohnt.
Fazit: Eine packende Darstellung mit
viel Raum für die eigene Interpretation.
Spannung: *** | Anspruch: **** |
Tragik: ***** | Diskussionspotential: ****
Heike Nickel |