Reizende Leute
Alan Ayckbourns "frohe Feste"
im Theater Chambinzky
"Frohes Fest!" Wie eine Beschwörung vor drohendem
Ungemach geistert dieser Wunsch in und um Weihnachten durch
Familien- und Bekanntenkreise. Weniger festlich gestimmt ist aber
meistens die Hausfrau, wenn sie dauernd in der Küche werkeln muß,
obendrein ist die Stimmung ihrer Lieben oft künstlich beglückt, denn
gute Laune ist man sich schuldig an diesem Fest des Friedens und der
Freude. Die angestrengt harmonische Fassade jedoch ist äußerst
brüchig. Dieses Thema greift Alan Ayckbourn sozusagen in der
Mehrzahl auf, in seiner satirischen Komödie "Frohe Feste", über
Weihnachtsfeiern gestern, heute und morgen. Wenn man dabei als
Zuschauer im Theater Chambinzky anfangs noch herzhaft lachen kann
über all die seltsam aufgedrehte Fröhlichkeit und die absurden
Verhaltensstrategien, die daraus folgenden Mißverständnisse und
Mißgeschicke an diesem bedeutsamen Christabend, wandelt sich das
Ganze langsam in ein groteskes Drama mit einem fast tragikomischen
Ende. Parallel dazu kann man ganz genüßlich den gesellschaftlichen
Auf- bzw. Abstieg dreier Paare beobachten. Hermann Drexler hat
dieses schräge und letztlich doch nachdenklich stimmende Stück mit
viel Gespür für Slapstickkomik, für witzige Einzelheiten und heitere
Kontraste inszeniert. Natürlich darf weihnachtliche Beschallung
nicht fehlen, von "Leise rieselt der Schnee" - es schüttet! - bis zu
"freue dich, Christkind kommt bald!" - aber beim sinnlosen
Rumgehopse geht das Licht aus, und eigentlich ist Ratlosigkeit
angesagt. Wie geht es weiter mit den Akteuren? Das darf sich der
Zuschauer ausdenken. Der fühlt sich jedoch bestens unterhalten; so
sagt vor jedem Akt der Weihnachtsmann wie ein Nummerngirl das
Kommende an. Am ersten Abend blickt man in eine klinisch reine
Küche, tipptopp gescheuert von der permanent lächelnd
herumwischenden Hausfrau Jane, mit Putzlappen bewaffnet; sie will ja
guten Eindruck schinden bei den Gästen im (nicht sichtbaren
Wohnzimmer), während ihr Ehemann Sidney sich um die Getränke kümmern
soll. Die verkrampft gute Stimmung schlägt bald um in ein
katastrophales Szenario, als sich Jane im Garten aussperrt, niemand
aber ihr Fehlen bemerkt, selbst als sich die Eingeladenen in ihrem
Küchenreich einfinden, die Bankiersfrau allerhand durchsichtige
Lügen auftischt, die frustrierte Architektengattin aber über die
Trümmer ihrer Ehe referiert. Keiner interessiert sich wirklich für
das Geschwätz der anderen; lediglich der wirkliche Anlaß des
weihnachtlichen Besuchs scheint durch: die Pflege von
Geschäftsinteressen. Die Männergespräche am Küchentisch befassen
sich mit den typischen Klischees über das andere Geschlecht, und mit
einem geflunkerten "Was für ein reizender Abend" verabschieden sich
die Gäste. Alle treffen sich wieder ein Jahr später; und dieser
Weihnachtsabend ist schon weniger nett, in der total vermüllten
Küche des Architekten: Dessen Ehe ist nun völlig im Eimer, Ehefrau
Eva versucht sich mit allen möglichen Methoden das Leben zu nehmen;
nichts funktioniert, selbst an die vielen Tabletten ist sie schon zu
sehr gewöhnt. Die Gäste, denen man vergessen hat, abzusagen, treffen
ein und tun so, als merkten sie nichts. Harmonie und gehobene
Stimmung sind das Gebot der Stunde. Jane macht sich sofort in der
Küche ans reinigende Werk, Sidney schraubt am Abfluß, und Banker
Ronald bekommt bei seinen elektrischen Reparaturversuchen einen
Herzanfall - aber alles nicht so schlimm: Er wird warm eingepackt
mit Schmutzwäsche, und es war wieder ein Abend, für den man sich
überschwenglich bedankt. Im Hause des (mittlerweile bedeutungslosen)
Bankangestellten am dritten Christfest ist die Heizung ausgefallen,
und man hat nicht eingeladen. Dennoch ist die nun wieder
stabilisierte Eva gekommen, und sie versucht zusammen mit Ronald, in
Winterkleidung der Kälte zu trotzen, während sich dessen Gattin
Marion von innen her mit reichlich Alkohol wärmt, einem Hobby, dem
sie nun ganz offen frönt. Auch der inzwischen völlig bankrotte
Architekt und Frauenjäger Geoffrey findet sich ein; als aber Sidney
und Jane klingeln, versuchen sich die Anwesenden zu verstecken. Das
hilft nichts: Die penetrant gute Laune in Gestalt dieser beiden, mit
Faschingsutensilien und Geschenken ausgestattet, dringt über die
Hintertür ein. Die gesellschaftlichen Gewinner nötigen die
beschädigten Ehepaare zu sinnlosem Tanz und Spiel. Hemmungslose
Verwirrung... Die lange bejubelte Aufführung lebte nicht nur von dem
hintergründig bösen Stück, sondern vor allem von der idealen
Besetzung der Rollen und den witzigen Details. Joachim Vogt war ein
biederer, angepaßter, gutwilliger Spießer Sidney, dem alles recht
ist, was seine Frau Jane tut - Hauptsache, die bürgerliche Fassade
wird gewahrt. In der Rolle der Jane brillierte Christina von
Golitschek als Gute-Laune- und Sauberkeitsfanatikerin, die selbst
durchnäßt und durchgefroren nicht ernsthaft protestiert; nur einmal
flippt sie aus, als sie die Küche wieder betreten darf und ihr Mann
sich's am Fernseher bequem macht: Da schmettert sie bravourös ihre
unter drückte Wut heraus im Song "I will survive" und bekennt im
Kampf mit dem Vorhang ihr "Broken heart". Stillen, stummen Protest
aber äußert ohne Worte Anne Hansen im zweiten Akt als
bemitleidenswerte, zarte Eva, während sie am ersten Abend noch die
emanzipierte, attraktive Frau markiert hat, am dritten aber in
angenehmer Zurückhaltung die Wirklichkeit akzeptiert. Da sucht sogar
ihr Ex-Mann Geoffrey, Hubertus Grehn, ihre Unterstützung; seine
Rolle als erfolgreicher Architekt und Schürzenjäger ist vorbei.
Wolfgang Stenglin ist als scheinbar einflußreicher Bankmensch Ronald
ein eher trockener, ein wenig skurriler Typ: er kann sich gegen
seine dominierende Frau Marion, Talia von Bezold, mit ihrem anfangs
gesellschaftlichen Ehrgeiz und schließlich, nach dem Abstieg, ihre
Trunksucht, kaum wehren. Ein Stück, dessen Besuch sich unbedingt
lohnt! Renate Freyeisen
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