Eine Notlüge funktioniert
vielleicht unter vier Augen bzw. Ohren. Wenn nach
und nach 20 davon beteiligt sind, steigt das Risiko
der Aufdeckung exponentiell, ja sogar explosiv. Denn
jedes Mal, wenn jemand neu in den Umkreis des
Lügengespinsts hineintritt, muss ihm schnell etwas
möglichst Harmloses aufgetischt werden, um etwaige
Ungereimtheiten – und die fallen in einer guten
Boulevardkomödie massenhaft an – auszubügeln.
Deshalb ist in Ray Cooneys Stück „Und alles auf
Krankenschein“, das am Donnerstag im Würzburger
Privattheater Chambinzky eine umjauchzte Premiere
hatte, der zweimal geäußerte Satz besonders witzig:
„Dafür gibt es sicher eine einfache Erklärung.“
Die wichtigsten Dialoge entfalten sich also mit der
Notwendigkeit einer griechischen Tragödie. Dazu
kommen witzige Missverständnisse, die der alte
Routinier Cooney noch extra draufsetzte. Und die
Bewegung von Figuren im Bühnenraum bringen weitere
Kollisionen, Komplikationen und Kollateralschäden.
Regisseur Manfred Plagens hat diese Gagmaschine
kompakt zusammengesetzt und offensichtlich durch
intensive Probenarbeit so gut eingestellt und geölt,
dass es nur an den Stellen rüttelt, die der Autor
dafür vorgesehen hat. Und natürlich im Publikum, das
sich ständig vor Lachen schüttelt. Hauptdarsteller
Wolfgang Stenglin gibt seiner Figur die Autorität
und Energie, um immer mehr Personen zu immer neuen
Täuschungsmanövern ins Feld zu schicken, zu seiner
persönlichen Rettung – die Szene ist ein
Krankenhaus, das Problem ein uneheliches Kind, die
Chance des Lebens seine Adelung.
Ihm zur Seite
steht Felix Nitzsche. Trotz physischer
Größenunterschiede begegnen sich da zwei auf
Augenhöhe. Sie passen schauspielerisch herrlich
zusammen. Da fügt es sich, dass der eine am Ende
eine Funktion des anderen übernimmt. Form und Inhalt
ergänzen sich – noch eine Ähnlichkeit mit dem
Klassiker.
Bei Jutta von Heymann weiß man nicht
ganz genau, ob eine leichte Steifheit allein ihrer
Rolle geschuldet ist. Aber auch sie schwimmt wie
alle Darsteller im Tempo der Inszenierung und in der
Sicherheit ihres Textverständnisses. Fast schon
etwas zu spielfreudig gab sich Marcus Füller als
18-jähriges Kind bei der Premiere. Er hat aber auch
einen groben psychologischen Bruch, seine Figur, zu
überspielen.
Ebenfalls laut, aber nicht zu laut,
agierten Christof Stein, Jürgen Schumann und Daniela
Vassileva, hübsch gemäßigte Töne schlug Michelle
Neise an, während gerade Gerd Eickelpaschs leise
Töne die lügenhafte Hauptfigur am stärksten
bedrohen. An ihren Trenchcoats stets einwandfrei als
Polizisten erkennbar sind Horst Fuchs und Wernher
von Schrader, die sich in den Aufführungen bis 19.
Mai in ihrer Rolle abwechseln.