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  neunundachtzig 11./12.2013 / 01.2014

Reizende Leute

Alan Ayckbourns "frohe Feste" im Theater Chambinzky

"Frohes Fest!" Wie eine Beschwörung vor drohendem Ungemach geistert dieser Wunsch in und um Weihnachten durch Familien- und Bekanntenkreise. Weniger festlich gestimmt ist aber meistens die Hausfrau, wenn sie dauernd in der Küche werkeln muß, obendrein ist die Stimmung ihrer Lieben oft künstlich beglückt, denn gute Laune ist man sich schuldig an diesem Fest des Friedens und der Freude. Die angestrengt harmonische Fassade jedoch ist äußerst brüchig. Dieses Thema greift Alan Ayckbourn sozusagen in der Mehrzahl auf, in seiner satirischen Komödie "Frohe Feste", über Weihnachtsfeiern gestern, heute und morgen. Wenn man dabei als Zuschauer im Theater Chambinzky anfangs noch herzhaft lachen kann über all die seltsam aufgedrehte Fröhlichkeit und die absurden Verhaltensstrategien, die daraus folgenden Mißverständnisse und Mißgeschicke an diesem bedeutsamen Christabend, wandelt sich das Ganze langsam in ein groteskes Drama mit einem fast tragikomischen Ende. Parallel dazu kann man ganz genüßlich den gesellschaftlichen Auf- bzw. Abstieg dreier Paare beobachten. Hermann Drexler hat dieses schräge und letztlich doch nachdenklich stimmende Stück mit viel Gespür für Slapstickkomik, für witzige Einzelheiten und heitere Kontraste inszeniert. Natürlich darf weihnachtliche Beschallung nicht fehlen, von "Leise rieselt der Schnee" - es schüttet! - bis zu "freue dich, Christkind kommt bald!" - aber beim sinnlosen Rumgehopse geht das Licht aus, und eigentlich ist Ratlosigkeit angesagt. Wie geht es weiter mit den Akteuren? Das darf sich der Zuschauer ausdenken. Der fühlt sich jedoch bestens unterhalten; so sagt vor jedem Akt der Weihnachtsmann wie ein Nummerngirl das Kommende an. Am ersten Abend blickt man in eine klinisch reine Küche, tipptopp gescheuert von der permanent lächelnd herumwischenden Hausfrau Jane, mit Putzlappen bewaffnet; sie will ja guten Eindruck schinden bei den Gästen im (nicht sichtbaren Wohnzimmer), während ihr Ehemann Sidney sich um die Getränke kümmern soll. Die verkrampft gute Stimmung schlägt bald um in ein katastrophales Szenario, als sich Jane im Garten aussperrt, niemand aber ihr Fehlen bemerkt, selbst als sich die Eingeladenen in ihrem Küchenreich einfinden, die Bankiersfrau allerhand durchsichtige Lügen auftischt, die frustrierte Architektengattin aber über die Trümmer ihrer Ehe referiert. Keiner interessiert sich wirklich für das Geschwätz der anderen; lediglich der wirkliche Anlaß des weihnachtlichen Besuchs scheint durch: die Pflege von Geschäftsinteressen. Die Männergespräche am Küchentisch befassen sich mit den typischen Klischees über das andere Geschlecht, und mit einem geflunkerten "Was für ein reizender Abend" verabschieden sich die Gäste. Alle treffen sich wieder ein Jahr später; und dieser Weihnachtsabend ist schon weniger nett, in der total vermüllten Küche des Architekten: Dessen Ehe ist nun völlig im Eimer, Ehefrau Eva versucht sich mit allen möglichen Methoden das Leben zu nehmen; nichts funktioniert, selbst an die vielen Tabletten ist sie schon zu sehr gewöhnt. Die Gäste, denen man vergessen hat, abzusagen, treffen ein und tun so, als merkten sie nichts. Harmonie und gehobene Stimmung sind das Gebot der Stunde. Jane macht sich sofort in der Küche ans reinigende Werk, Sidney schraubt am Abfluß, und Banker Ronald bekommt bei seinen elektrischen Reparaturversuchen einen Herzanfall - aber alles nicht so schlimm: Er wird warm eingepackt mit Schmutzwäsche, und es war wieder ein Abend, für den man sich überschwenglich bedankt. Im Hause des (mittlerweile bedeutungslosen) Bankangestellten am dritten Christfest ist die Heizung ausgefallen, und man hat nicht eingeladen. Dennoch ist die nun wieder stabilisierte Eva gekommen, und sie versucht zusammen mit Ronald, in Winterkleidung der Kälte zu trotzen, während sich dessen Gattin Marion von innen her mit reichlich Alkohol wärmt, einem Hobby, dem sie nun ganz offen frönt. Auch der inzwischen völlig bankrotte Architekt und Frauenjäger Geoffrey findet sich ein; als aber Sidney und Jane klingeln, versuchen sich die Anwesenden zu verstecken. Das hilft nichts: Die penetrant gute Laune in Gestalt dieser beiden, mit Faschingsutensilien und Geschenken ausgestattet, dringt über die Hintertür ein. Die gesellschaftlichen Gewinner nötigen die beschädigten Ehepaare zu sinnlosem Tanz und Spiel. Hemmungslose Verwirrung... Die lange bejubelte Aufführung lebte nicht nur von dem hintergründig bösen Stück, sondern vor allem von der idealen Besetzung der Rollen und den witzigen Details. Joachim Vogt war ein biederer, angepaßter, gutwilliger Spießer Sidney, dem alles recht ist, was seine Frau Jane tut - Hauptsache, die bürgerliche Fassade wird gewahrt. In der Rolle der Jane brillierte Christina von Golitschek als Gute-Laune- und Sauberkeitsfanatikerin, die selbst durchnäßt und durchgefroren nicht ernsthaft protestiert; nur einmal flippt sie aus, als sie die Küche wieder betreten darf und ihr Mann sich's am Fernseher bequem macht: Da schmettert sie bravourös ihre unter drückte Wut heraus im Song "I will survive" und bekennt im Kampf mit dem Vorhang ihr "Broken heart". Stillen, stummen Protest aber äußert ohne Worte Anne Hansen im zweiten Akt als bemitleidenswerte, zarte Eva, während sie am ersten Abend noch die emanzipierte, attraktive Frau markiert hat, am dritten aber in angenehmer Zurückhaltung die Wirklichkeit akzeptiert. Da sucht sogar ihr Ex-Mann Geoffrey, Hubertus Grehn, ihre Unterstützung; seine Rolle als erfolgreicher Architekt und Schürzenjäger ist vorbei. Wolfgang Stenglin ist als scheinbar einflußreicher Bankmensch Ronald ein eher trockener, ein wenig skurriler Typ: er kann sich gegen seine dominierende Frau Marion, Talia von Bezold, mit ihrem anfangs gesellschaftlichen Ehrgeiz und schließlich, nach dem Abstieg, ihre Trunksucht, kaum wehren. Ein Stück, dessen Besuch sich unbedingt lohnt!
Renate Freyeisen

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