Erotische Regungen
Würzburg Erwachsenwerden ist nicht leicht, schon gar nicht in
einer von Zwängen und Prüderie geprägten Zeit. In seiner
"Kindertragödie" "Frühlings Erwachen" zeigte der von
Skandalen umwitterte Dramatiker Frank Wedekind (1864 bis 1918), was er von
der lust- und triebfeindlichen bürgerlichen Moral der wilhelminischen
Zeit hielt: herzlich wenig. Die Würzburger "Werkstattbühne"
zeigt jetzt eine erfrischende Inszenierung des Jugenddramas.
Es beginnt ganz harmlos: Melchior (Christian Diterich) und Moritz
(Tobias Illing) geht neben Geschichtsdaten und Lateinvokabeln noch so
manch anderes, wirklich Aufregendes durch den Kopf. Ihre Eltern können
sie in solchen Dingen nicht fragen. Gut, dass Melchior über entsprechende
Literatur verfügt. Sein Wissen fasst er für den schüchternen Moritz in
der Aufklärungsschrift "Der Beischlaf" zusammen, was ihn in
arge Bedrängnis bringen wird. Auch die fünfzehnjährige Wendla (Katrin
Kolb), in sexueller Hinsicht gänzlich unaufgeklärt, verspürt erste
erotische Regungen, und dann kommt's Schlag auf Schlag: Der sensible
Moritz wird in der Schule nicht versetzt und jagt sich eine Kugel durch
den Kopf. Wendla wird von Melchior geschwängert und stirbt nach einer
verpfuschten Abtreibung. Glück hat Melchior nach seiner Flucht aus der
Besserungsanstalt: Die Begegnung mit einer mysteriösen Gestalt, dem
Vermummten (Wolfgang Stenglin), bringt ihn zurück auf einen
lebensbejahenden Weg.
Schonungslos ging Wedekind mit der verlogenen und prüden Welt der
Erwachsenen ins Gericht, für die die moralisch einwandfreie Außenwirkung
mehr zählte als das Wohl der pubertierenden Kinder. Der Dramatiker gab
diese Sicht durch Überzeichnung ins Groteske der Lächerlichkeit preis.
Mit "Frühlings Erwachen" bringt das Ensemble eine geradlinige
Inszenierung des junggebliebenen Dramas auf die Bühne. Die jungen
Darsteller überzeugen durch leidenschaftliches, glaubwürdiges Spiel,
allen voran Tobias Illing als verträumtes Seelchen Moritz. Die Darsteller
der prüden Erwachsenen können ebenso überzeugen, besonders Uwe Hansen
als schwadronierender Schuldirektor Sonnenstich.
Eva Werner
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