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  149 - 12,2019/1.2020

Entlarvender Leichenschmaus

Letzter Wille von Fitzgerald Kusz im Theater Chambinzky

Dialekte sind Delikatessen. Da wird noch mit dem Ohr gegessen, schreibt der fränkische Dialektdichter Fitzgerald Kusz auf seiner Website. Er betont, daß seine Stücke und Gedichte "Mund-Art" seien, und in der Tat hat er die fränkische Mundart zu einer Literatursprache gemacht. - Als er 1968 die Verfilmung von Martin Sperrs Volksstück Jagdszenen in Niederbayern sah, wurde ihm bewußt, was man mit dem Dialekt alles ausdrücken kann. Fitzgerald Kusz begann mit Gedichten, im Rundfunk gesprochen und vom Studio Franken gesendet. Es folgten Hörspiele, für eines erhielt er 1975 den Hans-Sachs-Preis. "Da waren die ersten Dialoge da", wie er sagt.

Die logische Entwicklung ging zum Volksstück, und so wurde 1976 Schweig, Bub! in Nürnberg uraufgeführt. Ein Riesenerfolg! Allein in Nürnberg stand das Stück bis 2010 auf dem Spielplan und wurde 730 Mal aufgeführt, außerdem in 13 deutsche Dialekte übertragen. Seitdem hat er zahlreiche Stücke und Gedichtbände veröffentlicht, für alle gilt: Sie müssen "mit dem Ohr gegessen" werden.

Eine Kostprobe kann man zur Zeit im Theater Chambinzky in Würzburg genießen, gleichsam ein Geschenk des Theaters zum 75· Geburtstag von Fitzgerald Kusz ( 17.11.2019 ). Nach 2001 steht dort abermals "Letzter Wille. Ein Leichenschmaus in fünf Akten" auf dem Programm, wieder inszeniert von Hermann Drexler, der übrigens auch für die Inszenierungen von Schweig, Bub! aus den Jahren 2004 und 2008 zuständig war.

Abgesehen von Fitzgerald Kusz' ausgeprägtem, teils liebevollen, teils scharfen Humor, haben die Stücke durchaus auch in der Anlage etwas gemeinsam: Eine Familie ist aus einem familiären Anlaß versammelt, bei dem die Masken fallen und die bürgerliche Fassade bröckelt, in "Schweig, Bub!" ist es eine Konfirmationsfeier, in "Letzter Wille" ein Leichenschmaus, beides Rituale, die fest im bürgerlichen Leben verankert sind, dort ein Initiationsritual (Zitat Kusz ), hier ein Übergangsritual (Leichenschmaus).

Den Leichenschmaus gibt es unter den unterschiedlichsten Namen schon seit Urzeiten, er ist das am weitesten verbreitete Ritual nach Begräbnissen und soll den Hinterbliebenen signalisieren, daß das Leben nach dem Abschiednehmen von den Verstorbenen weitergeht, positive Erinnerungen wecken, Spannung abbauen, Trost spenden. Nicht von ungefähr ist eine von vielen Bezeichnungen für diese Veranstaltung "Tröster".

Von solch wohlmeinenden Absichten kann in dem Stück Letzter Wille nicht die Rede sein, es handelt sich um einen Leichenschmaus der besonderen Art. Denn hier geht es nicht um Trost und Besinnung oder um liebevoll erinnerte Anekdoten aus dem Leben der gerade beerdigten Tante Martha, sondern um Häme und Mißgunst innerhalb der hinterbliebenen Familie, um lange unterdrückte Spannungen, bei Familienfesten nicht selten, vor allem aber um die erwartete Erbschaft. Zwischen Marthas Schwester Olga (Maria Schwab), ihrem Sohn Kurt (Wolfgang Stenglin) und ihrem Neffen Heinz (Thorsten Rock) entwickelt sich ein Wettstreit um die Frage: Wer ist der/die Gierigste? Denn keiner gönnt dem anderen etwas; nur in einem Punkt sind sie sich einig, daß nämlich Claudio (Jürgen Keidel), der angeheiratete Neffe, auf keinen Fall als Erbe in Frage kommt. Die unsichere Tochter Olgas {Christina von Gollitscheck als Ursel) wird ebenso rüde beschimpft wie Kurts Ehefrau Siggi (Arme Hansen) und Heinz' Ehefrau Karin (Annette Eberlein), wenn sie versuchen einzulenken. Überhaupt wird das Bild einer trauemden Familie satirisch verzerrt und mit bitterbösem Humor ad absurdum geführt.

Aber es kommt, wie es kommen muß! Der gutwillige Hausmeister Rau (Jürgen Schuhmann), von den Streitenden herablassend und verächtlich behandelt, kommt am Ende zu einem bescheidenen Legat, Claudio erbt den Löwenanteil, und Tante Martha erweist sich als würdiges Mitglied dieser mißgünstigen Familie, indem sie per Video aus dem Jenseits eine hämische Botschaft an die Hinterbliebenen sendet.

Diese mit Elan und Schwung von Hermann Drexler inszenierte und von den Schauspielern mit großer Spielfreude aufgeführte Komödie, in der die zahlreichen Bösartigkeiten teils lautstark, teil giftig ausgeteilt werden, wird vom Publikum mit großer Begeisterung und langanhaltendem Beifall aufgenommen und durch den Dialekt zu einer Delikatesse, "mit dem Ohr gegessen".

Heide Dunkhase

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