Brecht und der Verfall der Moral in Zeiten der Krise
WÜRZBURG Bertolt Brecht wurde in den letzten Jahren verstärkt als Lyriker wahrgenommen, die Präsenz seiner Dramen auf deutschen Bühnen hat nachgelassen. Dass er aber als Dramatiker für das Gegenwartstheater unverzichtbar bleibt, zeigt die jüngste Neuproduktion der Würzburger Werkstattbühne.
Dort überprüfen Claudia Rath und Markus Czygan das Parabelstück "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" auf seine Relevanz für das Hier und Heute und fördern mit einer spektakulären Inszenierung die Erkenntnis zu Tage, dass Brecht hochaktuell ist - zumindest, wenn er so zeitgemäß, kurzweilig, packend und lebendig auf die Bühne gestellt wird. Das Regie- und Ausstattungs-Duo holt Brechts Gleichung vom Aufstieg Adolf Hitlers (zwischen 1929 und 1938) und der Karriere des Gangsters Arturo Ui in die Gegenwart. Die Figur des Ui ist mit einer Frau (Britta Schramm) besetzt, die im Prolog noch verzweifelt ihre Rolle - Caesar, Napoleon, Hitler - sucht und zeigt: Fast jeder kann zum Diktator werden, wenn es die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben.
Die werden bestimmt von den anonymen, gesichtslosen, gleichförmig gekleideten Kofferträgern des Kohl-Trust, deren einzige Maßstäbe Rendite und Profit sind. Im durch List und Erpressung erzwungenen Bündnis mit den alten Eliten in Gestalt des greisen Dogsborough (Nico Wolf) etablieren die Manager Ui und seine von Ernesto Roma (Frido Schaff) geführte Schlägertruppe als Schutzmacht. Damit nimmt nicht nur das historische Verhängnis seinen Lauf; in der Parallelisierung von Politik, Wirtschaft und Gangstermilieu legt Brecht auch die Mechanik gesellschaftlicher Prozesse bloß. Eine Mechanik, die - so legen es Programmheft und Inszenierung nahe - im Verfall der Moral in Zeiten der Krise ihren Ursprung hat und im Gewand des Alltäglichen, des Lächerlichen, des Grotesken daherkommt.
Folgerichtig inszenieren Rath/Czygan den Text als optisch ansprechendes, turbulentes
Jahrmarktspektakel. Als ebenso vielseitige wie disziplinierte Darsteller sorgen auch Julia Hennig, Christian Diterich, Wolfgang Stenglin, Matthias Dzierzon, Cornelia Wagner, Carolin Wörz, Zonga Tjong und Uwe Bergfelder (in bis zu sechs verschiedenen Rollen) für ein buntes Panoptikum. Die von Markus Geiselhart komponierte
und von Aggi Berger arrangierte Musik betont den unterhaltenden Aspekt genauso wie eine abwechslungsreiche Beleuchtung.
Manfred Kunz
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