Die
Liebe, das ist etwas, was traurig macht
Drama
nach Schnitzlers "Reigen" von David Hare im theater ensemble Würzburg
Die
Theatergeschichte ist voll von den gewundenen Pfaden der Liebe. Da ist
Euripides Alkestis, die aus Liebe stellvertretend für ihren Gatten Admet
stirbt, oder Graf Almaviva, der in Beaumarchais "Der Barbier von
Sevilla" die von ihrem Vormund eifersüchtig bewachte, junge Adlige
Rosine liebt. Da ist die Unterweltliebe des Räuberhauptmanns Macheaths
aus John Gays "Bettleroper" zu Polly und das verworrene, fatal
endende Liebesverhältnis zwischen dem ehrgeizigen Clavigo und der
mittellosen Marie Beaumarchias in Goethes Trauerspiel aus dem Jahr 1774.
Eine herausragende Stellung unter den Stücken, die den Pfaden der Liebe -
oder das, wofür sie gehalten wird -, nachgehen, nimmt Arthur Schnitzlers
"Reigen" ein. Schnitzlers bis heute unübertroffene
Liebeskonzeption nahm der englische Dramatiker David Hare zur Vorlage
seines erotischen Reigens unter dem Titel "Blue Room". In einer
Inszenierung von Norbert Bertheau und Jutta Rülander ist das 1998 in
London uraufgeführte Stück derzeit im Würzburger "theater ensemble"
zu sehen.
In
zehn Paaren spiegelt sich sowohl bei Schnitzler als auch bei Hare, was
Liebe jenseits aller romanhaften Romantik nur allzu oft ist - Gier,
Befriedigung, Eitelkeit. Wie Schnitzler geht es auch Hare darum, die
Verlogenheit vermeintlicher Liebe aufzudecken. Beide Autoren tun dies, in
dem sie vor allem das aufzeigen, was vor und nach dem Liebesspiel
passiert: Wortreich wird erklärt, wortreich werden Botschaften verkündet.
Wortreich lenken die Paare von sich ab, wortreich sperren sie sich in Käfige,
wortreich führen sie sich in die Irre.
Nur
wenige Figuren schaffen es, uns sympathisch zu werden. Zu diesen wenigen zählt
Marco Peters aufgeregter, unbeholfen-verklemmter Student, der sich,
nachdem er es mit dem Mut des Verzweifelten geschafft hat, sich an das
Au-Pair-Mädchen heranzumachen (Kompliment an Carolin Gahn), an einer
verheirateten Frau versucht - und kläglich scheitert.
Herausragend
Monika Braminski als Straßenmädchen, die in ihrer Melancholie wie keine
andere Figur zu verstehen gibt: Die Liebe ist etwas, das traurig macht.
Mit ihr beginnt der Reigen, mit ihr wird er beschlossen. Ein Jahr ist
vergangen. Ein Jahr, das Liebesroutine mit sich brachte - es ist nicht
mehr schlimm, Geld für "es" zu nehmen. Ein Jahr, das den
Hoffnungen nichts von ihrem Vagen nahm. Vielleicht wird sie den Taxifahrer
(derb und windig: Dierk Kählert) heiraten. Vielleicht nicht.
Wahrscheinlich eher nicht, denn sie kann nicht mehr treu sein.
Hares
Figuren sind selbstverliebt und zugleich verloren, sie wollen nichts von
sich hergeben, verstecken sich, versuchen, sich zu blenden, und leiden
unter ihrem Alleinsein. Symbolfigur hierfür ist der von Jürgen Döring
überzeugend vorgeführte Dramatiker, für den das ganze Leben zum Theater
geworden ist. Was die Bühne im Schauspielhaus, ist in seinem privaten
Reich das Bett. Sehr gut gelungen in dieser Szene der Kontrast zwischen
der klebrigen Schwärmerei des Musensohnes und der Nüchternheit des
Models (ebenfalls von Monika Braminski gespielt). Was für ihn
Liebesrausch, ist für sie "harte Arbeit".
Gleichwohl
sich an die Wäsche gegangen wird, gleichwohl Kleidungsstücke fallen, Brüste
begrapscht und Küsse ausgetauscht werden - erotische Gefühle kommen
nicht hoch. Und noch etwas ist nicht möglich: empört zu sein. Dies nicht
nur wegen eines eventuellen Wiedererkennungseffekts. Es ist einfach zu
bitter, zu tragisch, was sich auf der Bühne vollzieht. Statt Lust, statt
Empörung kommt höchstens Mitleid auf. Und vielleicht ein Bewusstwerden
eigener Einsamkeiten.
Schnitzler
und Hare gleichen sich nicht nur in der Konzeption, sondern auch in der
Botschaft: Verstehen ist nicht möglich, schon gar nicht, wenn es um die
Liebe geht. Die Figuren bei Hare haben die Hoffnung längst aufgegeben, je
verstanden zu werden von dem, der sie zu lieben vorgibt. Glänzend Renee
Gahn als Politikergattin - sie entgegnet nichts mehr auf das verlogene
Moralisieren ihres Mannes (glatt und schmeichlerisch: Wolfgang Stenglin),
der wortreich seine Ignoranz ihr gegenüber entschuldigt. Resignation ist
abzulesen aus ihrem Verhalten. Venedig ist vorbei. Und wird nie mehr
wiederkommen.
Die
Figuren tauchen wie aus einem Nebel aus, zeigen sich kurz, versichern sich
ihrer Zuneigung, ihrer Anziehung, ihrer Sympathie, und sind auch schon
wieder verschwunden. Kaum, dass Spuren von ihnen bleiben. Zeit ist nur für
wichtige Dinge; die Liebe vollzieht sich in Nischen der Heimlichkeit, in
Verstecken. Es ist, als würde sie gar nicht richtig zum Leben passen.
Nicht zuletzt durch das düstere Licht, aber auch durch die teilnahmslose
Einblendung der Dauer des Liebesakts, bringen Bertheau und Rülander die
Gefühllosigkeit der Liebenden, die Kälte in ihren Umarmungen zum
Ausdruck.
Bertheau
präsentiert sich in seiner Inszenierung nicht nur als feinfühliger
Regisseur - der von ihm überaus authentisch gespielte Aristokrat, ein
Mann von Ansehen, Einfluss und Vermögen, steht den Figuren niederen Rangs
in Sachen Verlassenheit in nichts nach. In seiner distinguierten
Distanziertheit eignet er sich wie keine andere Figur für den
Schlussakkord. Er weiß nicht mehr, dass er mit dem Mädchen geschlafen
hat. Wenn sie es sagt, wird es wohl stimmen. Dabei war die Vorstellung so
schön, er hätte ihr die ganze Nacht nur die Augen geküsst.
Pat Christ
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