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  09.01.2002
 

Die Liebe, das ist etwas, was traurig macht

Drama nach Schnitzlers "Reigen" von David Hare im theater ensemble Würzburg 

Die Theatergeschichte ist voll von den gewundenen Pfaden der Liebe. Da ist Euripides Alkestis, die aus Liebe stellvertretend für ihren Gatten Admet stirbt, oder Graf Almaviva, der in Beaumarchais "Der Barbier von Sevilla" die von ihrem Vormund eifersüchtig bewachte, junge Adlige Rosine liebt. Da ist die Unterweltliebe des Räuberhauptmanns Macheaths aus John Gays "Bettleroper" zu Polly und das verworrene, fatal endende Liebesverhältnis zwischen dem ehrgeizigen Clavigo und der mittellosen Marie Beaumarchias in Goethes Trauerspiel aus dem Jahr 1774. Eine herausragende Stellung unter den Stücken, die den Pfaden der Liebe - oder das, wofür sie gehalten wird -, nachgehen, nimmt Arthur Schnitzlers "Reigen" ein. Schnitzlers bis heute unübertroffene Liebeskonzeption nahm der englische Dramatiker David Hare zur Vorlage seines erotischen Reigens unter dem Titel "Blue Room". In einer Inszenierung von Norbert Bertheau und Jutta Rülander ist das 1998 in London uraufgeführte Stück derzeit im Würzburger "theater ensemble" zu sehen.

In zehn Paaren spiegelt sich sowohl bei Schnitzler als auch bei Hare, was Liebe jenseits aller romanhaften Romantik nur allzu oft ist - Gier, Befriedigung, Eitelkeit. Wie Schnitzler geht es auch Hare darum, die Verlogenheit vermeintlicher Liebe aufzudecken. Beide Autoren tun dies, in dem sie vor allem das aufzeigen, was vor und nach dem Liebesspiel passiert: Wortreich wird erklärt, wortreich werden Botschaften verkündet. Wortreich lenken die Paare von sich ab, wortreich sperren sie sich in Käfige, wortreich führen sie sich in die Irre.

Nur wenige Figuren schaffen es, uns sympathisch zu werden. Zu diesen wenigen zählt Marco Peters aufgeregter, unbeholfen-verklemmter Student, der sich, nachdem er es mit dem Mut des Verzweifelten geschafft hat, sich an das Au-Pair-Mädchen heranzumachen (Kompliment an Carolin Gahn), an einer verheirateten Frau versucht - und kläglich scheitert.

Herausragend Monika Braminski als Straßenmädchen, die in ihrer Melancholie wie keine andere Figur zu verstehen gibt: Die Liebe ist etwas, das traurig macht. Mit ihr beginnt der Reigen, mit ihr wird er beschlossen. Ein Jahr ist vergangen. Ein Jahr, das Liebesroutine mit sich brachte - es ist nicht mehr schlimm, Geld für "es" zu nehmen. Ein Jahr, das den Hoffnungen nichts von ihrem Vagen nahm. Vielleicht wird sie den Taxifahrer (derb und windig: Dierk Kählert) heiraten. Vielleicht nicht. Wahrscheinlich eher nicht, denn sie kann nicht mehr treu sein.

Hares Figuren sind selbstverliebt und zugleich verloren, sie wollen nichts von sich hergeben, verstecken sich, versuchen, sich zu blenden, und leiden unter ihrem Alleinsein. Symbolfigur hierfür ist der von Jürgen Döring überzeugend vorgeführte Dramatiker, für den das ganze Leben zum Theater geworden ist. Was die Bühne im Schauspielhaus, ist in seinem privaten Reich das Bett. Sehr gut gelungen in dieser Szene der Kontrast zwischen der klebrigen Schwärmerei des Musensohnes und der Nüchternheit des Models (ebenfalls von Monika Braminski gespielt). Was für ihn Liebesrausch, ist für sie "harte Arbeit".

Gleichwohl sich an die Wäsche gegangen wird, gleichwohl Kleidungsstücke fallen, Brüste begrapscht und Küsse ausgetauscht werden - erotische Gefühle kommen nicht hoch. Und noch etwas ist nicht möglich: empört zu sein. Dies nicht nur wegen eines eventuellen Wiedererkennungseffekts. Es ist einfach zu bitter, zu tragisch, was sich auf der Bühne vollzieht. Statt Lust, statt Empörung kommt höchstens Mitleid auf. Und vielleicht ein Bewusstwerden eigener Einsamkeiten.

Schnitzler und Hare gleichen sich nicht nur in der Konzeption, sondern auch in der Botschaft: Verstehen ist nicht möglich, schon gar nicht, wenn es um die Liebe geht. Die Figuren bei Hare haben die Hoffnung längst aufgegeben, je verstanden zu werden von dem, der sie zu lieben vorgibt. Glänzend Renee Gahn als Politikergattin - sie entgegnet nichts mehr auf das verlogene Moralisieren ihres Mannes (glatt und schmeichlerisch: Wolfgang Stenglin), der wortreich seine Ignoranz ihr gegenüber entschuldigt. Resignation ist abzulesen aus ihrem Verhalten. Venedig ist vorbei. Und wird nie mehr wiederkommen.

Die Figuren tauchen wie aus einem Nebel aus, zeigen sich kurz, versichern sich ihrer Zuneigung, ihrer Anziehung, ihrer Sympathie, und sind auch schon wieder verschwunden. Kaum, dass Spuren von ihnen bleiben. Zeit ist nur für wichtige Dinge; die Liebe vollzieht sich in Nischen der Heimlichkeit, in Verstecken. Es ist, als würde sie gar nicht richtig zum Leben passen. Nicht zuletzt durch das düstere Licht, aber auch durch die teilnahmslose Einblendung der Dauer des Liebesakts, bringen Bertheau und Rülander die Gefühllosigkeit der Liebenden, die Kälte in ihren Umarmungen zum Ausdruck.

Bertheau präsentiert sich in seiner Inszenierung nicht nur als feinfühliger Regisseur - der von ihm überaus authentisch gespielte Aristokrat, ein Mann von Ansehen, Einfluss und Vermögen, steht den Figuren niederen Rangs in Sachen Verlassenheit in nichts nach. In seiner distinguierten Distanziertheit eignet er sich wie keine andere Figur für den Schlussakkord. Er weiß nicht mehr, dass er mit dem Mädchen geschlafen hat. Wenn sie es sagt, wird es wohl stimmen. Dabei war die Vorstellung so schön, er hätte ihr die ganze Nacht nur die Augen geküsst.

Pat Christ

 

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