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  14.07.2005
 

Geplapper als Denkstopp

Der fränkische Jedermann feierte im Würzburger Rathaushof Premiere

Der Star des Abends ist der Teufel. Überall, wo die Behaglichkeit aufhört, wo es frech zugeht, wild oder gemein, ist der Teufel in seinem Element. Da steht Herbert Ludwig am Rande der Szene, sprungbereit, angriffslustig, die Finger zum Zugriff weit ausgefahren. Außer Rand und Band wird er, wenn sich die Menschen aufführen, als gäbe es den nicht, der sein größter Konkurrent ist, Gott. Jedermann ist so einer. Jedermann vertraut nur einem, dem Mammon. Der Mammon gibt ihm Macht. Der Mammon vertreibt seine Angst. Der Mammon öffnet ihm alle Türen dieser von Geld so wohlgeordneten Welt. Denkt Jedermann. Der Narr. Der nicht merkt, wie er willenlos, eine Marionette, an den Schnüren des Mammon tanzt.

Begeistert feiert das Premierenpublikum im Würzburger Rathaushof Hermann Drexlers Inszenierung "Der fränkische Jedermann" von Fitzgerald Kusz. Der Autor selbst ist anwesend, und seinem Mienenspiel zufolge gefällt ihm, was Drexlers Ensemble in der Theater Chambinzky-Produktion auf die von Sabine Hardt entworfene, aufwändige Kirchenbühne bringt. Drexler kitzelt die eigentümliche Poesie heraus die in Kusz Mundartbearbeitung der berühmten Vorlage Hugo von Hofmannsthals steckt. Den antiquierten Stoff  mit seinem für heutiges Theaterpublikum naiven Himmel-Hölle-Glauben behält Kusz ohne Wenn und Aber bei. Der fränkische Dialekt, mit dem er den Stoff angeht, macht das Spiel erst lebendig Und ausnahmslos alle Ensemblemitglieder, angefangen von Herbert Ludwigs kibbeligem, Teufel über Christina Stibis treuloses Herzerle, Rainer Mosers Gott und Rainer Maria Binz Mammon bis hin zu Markus Grimms Jedermann, fügen sich in die Dialektvorgabe geschmeidig ein.

Zu den stärksten Szenen gehört das Festgelage sowie jener Moment, in dem Jedermann seinen Freund um Geleit zum Jüngsten Gericht bittet. Drexler setzt Schleifen, er lässt Jedermann, berühmt dafür, Menschen wie Dreck zu behandeln, dieselben drängend-flehenden Gesten einnehmen, wie den armen Nachbarn (Mosers Gott im Bettlergewand wird als Bettler zur religiösen Symbolfigur), der ihn kurz zuvor um einen Bruchteil seines Habes angegangen war. Der Hartherzige lernt das Bitten. Der, der alles haben konnte, lernt, dass es Dinge gibt, die unerreichbar sind. Er wird abgeschüttelt, ein Lästiger, gerade so, wie er andere abgeschüttelt hat. Er wird fallengelassen. Aufgegeben wie ein Besitz, der nicht mehr taugt.

Die Demontage von Jedermanns Selbstgewissheit setzt abrupt beim Festgelage ein. Ausgelassene Feier, Witze werden gerissen, Neckereien fliegen hin und her über die von Vetter Dick (Wolfgang Stenglin) und Vetter Dünn (Johannes Wohlfahrt) - beide ein gelungen-komischer Dick&Doof-Verschnitt - zusammengehaltenen Tafel. Wein fließt reichlich, die Vettern spielen auf. Und Jedermann fühlt den Tod. nahen. Ab diesem Moment wird Markus Grimm so richtig gut. In den ersten Szenen kann man ihm seine Großmannssucht nicht ganz abnehmen. Er schwätzt von seinem Reichtum wie einer, der eigentlich gar nicht glauben kann, dass er so unglaublich reichlich ist. Worte als Selbstvergewisserung, Geplapper als Denkstopp. Und irgendwie kommt das Gefühl auf da, überzeugt sich einer selbst, der längst um die Unauthentizität des fragwürdigen eigenen Gebarens weiß.

Mit jedem Schritt näher zum Tod gewinnt Grimms Jedermann an Kontur. Ausbricht, was er im Innersten längst dachte, fühlte. Die Freunde um ihn herum lachen, wie er selbst sein Leben lang zu lachen gewohnt war, der Erfolgreiche, der kapitalistische Überflieger. Dann hört er Glocken lauten  (exzellent Gerhard Schäfers Klangdesign), dann wird sein Name gerufen. Das katapultiert ihn heraus aus der Schar der Zecherfreunde. Mühsam versucht er mehrmals, sich zurückzuretten in die Normalität ein Alptraum beginnt. Der Auftritt des Todes, er nähert sich von hinten, wird zum Schockmoment.

Doch bald weicht das Entsetzen mit konkreten Gefahren, Auseinandersetzungen von Angesicht zu Angesicht, kann Jedermann umgehen. Seine Kaufmanns-Psychostruktur kommt zum Tragen. Der Tod von Oskar Vogel als erfrischend einfaches Gemüt dargestellt tritt auf, und Jedermann tut reflexartig das, was er sein Leben lang getan hat: Er verhandelt. Schachert um ein Weniges mehr an Leben. Versucht, zu überreden, aufzutrumpfen, zu überzeugen. Ein Stündchen schlägt er heraus. Seine gnadenlose Schicksalsstunde. Zu keinem Zeitpunkt vergisst Drexler das Ganze ist Spiel.

Darauf machen schon die Mädchen Linda Werner und Katharina Popp aufmerksam, wenn sie zu Beginn über die Bühne toben, Verstecken spielen zwischen den von Johannes Schmidt entworfenen Totentanz-Kulissen. Am Ende wird auch dies eine geschickte Schleife - wieder neckend gejagt. Das Herzerle vergnügt sich mit Jedermanns Freund (den Gottfried Thoma als ziemlich widerlichen Dauerstrahlemann mimt). Der fränkische Jedermann ist, mehr noch als seine Vorlage, kurzweilige, gute Unterhaltung. Und nur, weil Drexler versteht, Brüche und lrritationsmomente wohldosiert einzubauen, ist die Moralinsäure zu ertragen, von der der Stoff trieft.

Und der unfreiwillige Sympathieverschiebungen geschuldet sind. Jedermanns Mutter, die Maria Schwab stringent als bigottes Weiblein auf die Bühne bringt, möchte man einfach helfen. Nicht besser wird es, wenn Schwab in das Gewand des Glaubens schlüpft. Da wird psalmodiert in bester Kirchentradition. Ein echtes Durchdringen des zunächst aufmüpfigen, später erzwungenermaßen reuigen Gegenübers ist im Verhaltensrepertoire solcherart Selbstgerechter nicht vorgesehen. Da kommt selbst das pathetisch zerlumpte Gewissen (Talia von Bezold beeindruckt durch wunderschönes Gesang), noch sympathischer rüber. Aber es ist ja nur Spiel. Ein durch und durch gut gemachtes Spiel. Wie anders wäre es auch möglich, dass sich Dutzende Theaterfreunde den Sommerabend mit dem Tod vertreiben. 

Pat Christ 

 

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