Tragisch und faszinierend
Werkstattbühne Würzburg produziert Büchners "Woyzeck"
Vor zwei Jahren war er als konfuser König in der Werkstattbühnen-Produktion
"Leonce" und Lena" zu sehen, bei einer Inszenierung des Würzburger
Uniclubs spielte er in "Dantons Tod" mit, jetzt vollendet
Regisseur und Schauspieler Manfred Plagens seine Büchner-Trilogie mit
einer eigenen "Woyzeck"-Inszenierung in der Werkstattbühne Würzburg.
Zusammen mit Bühnenbildnerin Verena Hemmerlein, die in den
Plagens-Inszenierungen "Urfaust" und "Die
Unterrichtsstunde" von Eugène Ionesco bereits für Kostüme und Bühnenbau
verantwortlich war, bereitet der Würzburger Theatermann derzeit eine in
26 Kurzszenen unterteilte, originalgetreue Fassung des Dramenfragments
vor, das der 1813 in Goddelau bei Darmstadt geborene, bereits mit 24
Jahren in Zürich an Typhus gestorbene Arztsohn Büchner 1836/37
verfasste.
Zur Premiere am 4. Dezember ist es noch eine Weile hin, doch bereits
jetzt zeigen Schulklassen aus der Region großes Interesse an den Aufführungen
des ersten deutschen Sozialdramas, die bis Mitte Februar kommenden Jahres
den Spielplan der Werkstattbühne bestimmen werden. Mitten in dem
Off-Theater-Kellerraum entsteht derzeit, einer Boxarena ähnlich, die Bühne
für die so tragische wie faszinierende Figur des Franz Woyzeck (Alexander
Blühm), der seine Geliebte Marie (Carolin Wörz), die sich mit einem
Tambourmajor (Marc Deiterding) eingelassen hat, "töten wird, weil er
muss".
Die um die Bühne gruppierten Zuschauer werden die Welt symbolisieren,
die sich immer schneller um den Soldaten Woyzeck zu drehen beginnt. Alles
schaut ihn an, alle Augen starren auf ihn - eben dieses Gefühl treibt
Franz Woyzeck in den Wahnsinn. Woyzecks Schreckensvisionen, die der
politisch oppositionelle Dichter Büchner in ebenso eindringlichen wie prägnant-knappen
Szenen schildert, hat gesellschaftliche Wurzeln, der Täter ist Opfer
unbeeinflussbarer Umstände. Allein die Tatsache des medizinischen
Experiments - ein Irrsinn. Der zum exzessiven Erbsenessen Verdammte muss
durchdrehen.
Die Schwächung der körperlichen Konstitution verschärft seine
seelische Labilität. Hetze, Kampf ums Geld, Versklavung, Verknechtung,
Verkauf der Arbeitskraft, der Lebenszeit - die Thematik erscheint im
Zeichen von Hartz IV und Agenda 2010 aktueller denn je. Heute wie zu Büchners
Zeiten leiden Menschen unter den unerträglichen Gefühlen von
Ungerechtigkeit und Unterlegensein, von Ausbeutung und Ausgrenzung. Das
Werkstattbühnen-Team entschied sich nichtsdestoweniger gegen ein
"Agitprop-Theater", in Plagens Inszenierung wird die künstlerische
Komponente die "sozialrevolutionäre" dominieren. Woyzecks
innere Welt wird ins Visier genommen.
Das Fühlen und Denken dieses verfolgten und verhöhnten Mannes kommt
vor allem in der von Stephan Knies komponierten Musik zum Tragen. Am Ende
stellt sich die Frage, ob da ein als wahnsinnig Gebrandmarkter die Welt
nicht wesentlich deutlicher erkennt als die abgestumpften Menschen seiner
Umgebung. Was Woyzeck beobachtet, was er subtil wahrnimmt, übersteigt
seine Seelenkräfte. Dass die Wahrnehmungen an sich falsch sind,
propagieren am Ende die, die sich der Wahrnehmung verweigern.
Pat Christ
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