Cool bis hin zum Mord an der geliebten Marie
Würzburg Dieser Woyzeck ist einer aus unserer Mitte und unserer
Zeit. Wie in einer Arena blicken die Zuschauer auf die rechteckige
Spielfläche im Zentrum der Würzburger Werkstattbühne. Dort führt die
Titelfigur von Georg Büchners Dramenfragment ihren aussichtslosen Kampf
gegen ihm unbegreifliche Zwänge und Nöte, die ihn schließlich zum Mord
an seiner geliebten Marie treiben.
In seiner Inszenierung holt Manfred Plagens den Stoff aus dem
zeitlichen und sozialen Kontext der Entstehungszeit und interpretiert ihn
als zeitgenössisches Beziehungsdrama. Er stellt Woyzeck (Alexander Blühm)
in eine ortlose, alltägliche Gegenwart, die von einer
melancholisch-depressiven Grundstimmung geprägt ist.
Seltsam emotionslos, blutleer bis hin zur Coolness ist dieser Woyzeck,
einer, der sich vom Leben nichts erwartet und nichts erhofft. Der auf
seine Umgebung, die Hilfsangebote seines Freundes Andres (Christoph
Weidmann), die Ratschläge seines Hauptmanns (Wolfgang Stenglin) und die
Anweisungen von Frau Doktor (Dorothy Richter) nur noch mit sprachlicher
Gleichförmigkeit reagiert.
Selbst die emotionale Nähe zu Marie (Carolin Wörz) und zum
gemeinsamen Kind bleibt steril - keine Leidenschaft, nirgends! Nicht mal
beim properen und die Marie begehrenden Tambourmajor (Marc Deiterding).
Dafür wird auf der Bühne jederzeit, auch zur Unzeit, gequalmt, was das
Zeug hält - die Zigarette als allgegenwärtiges Symbol für die Sehnsucht
nach Nähe und gleichzeitige Nicht-Kommunikation.
Wenn die Inszenierung trotzdem eine undefinierbare Spannung ausstrahlt
und in wenigen Momenten auch packende Nähe zu den Figuren entsteht, liegt
das an Büchners karger, hoch verdichteter Sprache. Und an der schnellen
Folge von kurzen, abrupt abbrechenden Szenen, die heutigen, von
Clip-Ästhetik und Schnitt-Techniken geprägten Seh-Gewohnheiten überaus
entgegenkommen und vom insgesamt elf-köpfigen Team vorzüglich umgesetzt
werden. Insoweit ist Plagens beachtenswerter Blick auf Woyzeck eine
durchaus zeitgemäße Einladung für ein junges Publikum, sich seinen
Woyzeck selber zu erfinden.
Manfred Kunz
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